Jasna Góra

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Donnerstag, 27. November 2014

Schaffner

Eine meiner Lieblingsstellen in Steffen Möllers Buch "Viva Polonia" ist die Stelle mit dem Schaffner:

"Als unser Zug in Hannover hielt, schauten wir durchs Waggonfenster auf den Bahnsteig und beobachteten den deutschen Schaffner. "Siehst du, er hat einen anderen Gang als der Pole", raunte mir Isabell ins Ohr. Und tatsächlich, während der polnische Schaffner, den wir bis zur Grenze beobachtet hatten, flink und unscheinbar an den Waggons entlanggeeilt war, hatte sein deutscher Kollege einen behäbigen , breitwatschelnden Dienstgang und eine finstere Miene, mit der er freche Passagiere zur Raison brachte." (Steffen Möller: Viva Polonia. Als deutscher Gastarbeiter in Polen, Frankfurt a. M. 2008, S. 116)

Meine Geschichte mit dem deutschen Schaffner geht so: Ich fuhr eines Tages mal wieder in meine Heimat. Ich saß im Zug von Frankfurt nach Gießen. Da es in dieser Zeit den Direktzug von Fankfurt nach Siegen nicht mehr gab musste ich in Gießen noch einmal umsteigen. Die Umstiegszeit betrug 6 Minuten. Nun hatte unser Zug bereits 10 Minuten Verspätung. Der Schaffner kam in unseren Waggon - behäbiger Gang, dröhnende Stimme - und sagte, er würde noch eine Lautsprecherdurchsage machen, ob der Anschluss nach Siegen in Gießen wartet oder nicht. Ich sagte ihm, dass ich schwerhörig sei und die Durchsage nicht verstehen könne. Im ICE habe im Verspätungsfalle bisher immer sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Schaffnerinnen (!) waren immer sehr hilfsbereit und haben mir die Info auf einen Zettel geschrieben haben, den sie mir an meinen Platz brachten! Und das obwohl ich ihnen immer angeboten habe, zum Dienstabteil mitzugehen, damit sie nicht mehrmals laufen müssen.

Im Regionalzug muss man in Sachen Service wohl Abstriche machen. Ich sagte also, ich sei schwerhörig und könne die Durchsage nicht verstehen. Der Schaffner schaute, schaute und brüllte dann: "Aber sie sitzen doch unter dem Lautsprecher!" Um die Diskretion ist es in Deutschland ohnehin schon sehr schlecht bestellt (jedenfalls aus polnischer Sicht betrachtet), dann gibt es in deutschen Zügen ja keine Abteile mehr, die wenigstens ein bisschen Diskretion garantieren würden, nein, es gibt Großraumabteile und auf das Gebrüll des Schaffners hin drehten sich natürlich sämtliche im Großraumwagen befindlichen Leute nach mir um. Super! Ich wollte ihm dann noch erklären, dass Lautprecher keine Lippen haben, von denen man absehen kann, aber der Schaffner hörte schon gar nicht mehr zu. Er zeigte auf einen jungen Mann, der hinter mir saß und brüllte: "Aaach, hier sitzt doch ein netter junger Mann. Der hilft ihnen bestimmt!" Verkuppeln wollte er mich also auch noch.

Man verstehe mich nicht falsch, ich habe nichts dagegen, mir von anderen Mitreisenden helfen zu lassen. Die Schaffner haben ja auch zu tun. Der "nette junge Mann" hat mir die Info, die ich brauchte, ja auch gesagt. Aber war es wirklich nötig, mit dem Gebrüll den ganzen Großraumwagen aufzuschrecken?

Deswegen nutze ich hier einmal die Gelegenheit um zu sagen:
Man muss im Gespräch mit Schwerhörigen nicht schreien! Natürlich sollte man im Gespräch mit uns nicht flüstern, aber normale Gesprächslautstärke genügt. Schreien bewirkt nämlich oft, dass wir wieder schlechter hören, weil Schreien die Laute verzerrt und weil das Mundbild dann auch verzerrt ist. Was wir brauchen, ist eine deutliche Aussprache. Und wir müssen das Mundbild sehen können. Also Hände weg vom Mund!

Obiger Schaffner kann also in Zukunft seine Stimmbänder schonen, wenn er mit Hörgeschädigten spricht. Und sich vielleicht bei den sehr diskreten und sehr hilfsbereiten polnischen Kollegen eine Scheibe abschneiden.

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