Jasna Góra

Jasna Góra

Freitag, 23. Januar 2015

Einsamkeit

"Einsamkeit ist keine Frage von räumlicher Nähe oder Ferne zu Mitmenschen, sondern entwickelt sich aus dem Verlust der inneren Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Schwerhörige werden vor allem dann auf das Gefühl der Einsamkeit gestoßen, wenn sie mit anderen, gut hörenden Menschen zusammen sind (Arbeitsplatz, Stammtisch, Familienfeier): ausgeschlossen aus der Gemeinschaft des Augenblicks." (Quelle)

Ich finde diese Beschreibung sehr gelungen. Sie beschreibt sehr gut, was Einsamkeit für einen Hörgeschädigten bedeutet. Man mag vielleicht jetzt denken, dass auch Guthörende mal einsam sind. Sicher sind sie das. Aber die Einsamkeit der Hörgeschädigten ist nocheinmal eine ganz andere.
Man fühlt sich einsam, wenn man unter Menschen ist, weil man den Gesprächen nicht folgen kann. Man fühlt sich aber auch einsam, wenn man sich zurückzieht und abkapselt.


Was mich am meisten belastet, ist das Gefühl, nirgends dazu zu gehören. Ich bin in dieser Hinsicht doppelt betroffen. Einerseits bin ich hörgeschädigt und lebe damit in einer ganz anderen Welt, als meine Eltern, Freunde etc. Auf der anderen Seite bin ich aber in der "hörenden" Welt groß geworden und ich komme in ihr bestens zurecht. Daher bin ich in der "hörgeschädigten" Welt auch nicht richtig zu Hause. Ich kann mich noch gut an mein erstes Treffen mit der Selbsthilfegruppe für Schwerhörige erinnern. So eine Selbsthilfegruppe ist eine gute Sache. Man trifft andere Betroffene und lernt, wie man sich selbst helfen kann. Durch diese Begegnungen lernt man auch, seine Behinderung zu akzeptieren. Doch mich hat das ganze eher abgeschreckt. Ich war damals 15 oder 16 Jahre alt. Ich fand es zwar auch total toll, endlich Menschen zu treffen, die dieselben Probleme haben, denen ich nicht groß erklären muss, dass ich mich nicht über drei Stockwerke hinweg unterhalten kann etc. Allerdings ging es bei diesem ersten Treffen vor allem um meinen Lebensweg, der bei den Schwerhörigen der Selbsthilfegruppe irgendwie gar nicht gut ankam. Sie waren entsetzt darüber, dass ich an einer Regelschule war, sie waren entsetzt darüber, dass ich Fremdsprachen lernte (und dann auch noch Französisch!) und sie waren entsetzt darüber, dass ich keinerlei Nachteilsausgleich in Anspruch nahm.

Ich verstehe ja: Da haben sich die Leute jahrelang um den Nachteilsausgleich bemüht und dann kommt plötzlich eine daher, die das doch alles ohne Nachteilsausgleich konnte und auf diese Weise den "Nichtbehinderten" suggeriert, dass die Nachteilsausgleiche überhaupt nicht nötig seien.
Ich bin meinen Lebensweg auf der Regelschule aber doch nur deswegen so gegangen, weil ich es nicht besser wusste und weil ich halt eben schlau genug war, um das so zu schaffen. Es war nicht meine Absicht, die Lobbyarbeit des Schwerhörigenbundes zu durchkreuzen. Mir ist völlig klar, dass nicht jeder Schwerhörige den Weg gehen kann, den ich gegangen bin.

Ich war damals bei dem Treffen aber doch enttäuscht. Die anderen Schwerhörigen hätten sich ja auch mal mit mir freuen können, anstatt mich dafür zu schimpfen, dass ich die gesetzlichen Nachteilsausgleiche nicht in Anspruch genommen habe.
Auch finde ich es schade, dass die Schwerhörigen selbst sagen, dass Schwerhörige keine Fremdsprachen lernen könnten. Ich finde, wir können dass sehr wohl! Man muss vielleicht etwas mehr Geduld mit uns haben, aber wir können das sehr wohl!

Der Abend bei der Selbsthilfegruppe war für mich auch aus einem anderen Grund schwierig. Ich war zum ersten Mal mit meiner Behinderung konfrontiert. Das klingt jetzt komisch, ich bin ja schon immer hörgeschädigt. Aber an jenem Abend habe ich zum ersten Mal meine eigene Behinderung von außen gesehen. Ich habe gesehen, welche Folgen eine Hörschädigung haben kann (etwa eine verwaschene Aussprache, oder dass man ständig ganz angestrengt guckt, weil man von den Lippen absieht). Ich fühlte mich an jenem Abend zum ersten mal in meinem Leben behindert. Das musste ich auch erstmal verdauen.

Mein Einstieg in die "Schwerhörigenszene" verlief also eher holprig, und so sollte es auch bleiben.

In Tübingen gab es lange Zeit einen Stammtisch für hörgeschädigte Studenten. Dort bin ich in den ersten Jahren meines Studiums ab und zu mal hingegangen. Das tolle an diesem Stammtisch war, dass es keinerlei Probleme mit der Kommunikation gab. Was mich da allerdings tierisch nervte, war der Gruppenzwang. Sie sörten sich daran, dass ich gegen Mitternacht nach Hause ging, weil ich gerne schlafen wollte, während sie selbst noch bis zum Morgengrauen weitertranken. Ich sollte unbedingt mit zum Schwerhörigenverein nach Stuttgart kommen und dort Sport treiben. Ich hatte ständig das Gefühl, dass man von mir erwartet, dass ich alles nur noch mit Schwerhörigen zusammen mache. Das kann ich mir aber überhaupt nicht vorstellen. Ich bin der hörenden Welt groß geworden. Die Welt der Hörgeschädigten ist mir einfach zu klein und zu eng. Da bin ich ganz einer Meinung mit Bonnie Poitras Tucker.

Das ist mir besonders beim Sommercamp 2006 bewusst geworden. Das Sommercamp der Bundesjugend im DSB ist eine gute Sache. Da treffen sich junge Hörgeschädigte aus ganz Deutschland um einfach mal zu entspannen und Spaß zu haben. Leider merkte ich ziemlich schnell, dass diese jungen Leute zwar alle ganz nett waren, aber ich konnte mit niemandem über Gott sprechen. Es waren keine gläubigen jungen Leute dabei. Nun ist Gott aber das Wichtigste in meinem Leben, ich kann ihn also nicht einfach ausblenden und so leben als ob es ihn nicht gäbe. So war ich zwar unter meinesgleichen und fühlte mich dennoch ausgeschlossen. Und auch hier spürte ich, dass manche Hörgeschädigte mir gegenüber Vorbehalten hatten, weil ich so sehr in der "normalhörenden" Welt lebe. Tatsächlich kam es in den Workshops teilweise zu heftigen Diskussionen zwischen Leuten, die meinten, man können sich nicht ganz aus der hörenden Welt zurückziehen, und solchen, die meinten, man könne das sehr wohl.

Wenige Wochen vorher war ich irgendwo in der Nähe von München bei einem Treffen von Jugend 2000 gewesen. Zwei nette junge Frauen aus Horb hatten mich mitgenommen. Und obwohl ich da mal wieder die einzige Hörgeschädigte war, fühlte ich mich dennoch integriert. Ich durfte mich immer den beiden Damen anschließen, sie waren sehr rücksichtsvoll und niemand störte sich daran, dass ich irgendwann um 12 Uhr dann schlafen gehen wollte. Das ist doch interessant, oder?

Adam Kardinal Sapieha und das Seelenheil


Adam Sapieha
Als ich 2012 in Polen war, um Quellen für meine Dissertation zu sammeln, studierte ich unter anderem in Krakauer Diözesanarchiv die Akten von/über Kardinal Sapieha. Adam Stefan Sapieha war von 1911 bis 1951 Erzbischof von Krakau. Er entstammt einem traditionsreichen polnischen Adelsgeschlecht und war ein echter Fürst.

Die Nazis schlossen nach ihrem Einmarsch in Polen im September 1939 alle polnischen Priesterseminare. Adam Sapieha entschloss sich, das Krakauer Priesterseminar im Untergrund weiterzuführen. 1942 trat Karol Wojtyla in das Krakauer Untergrundpriesterseminar ein. Da sowohl die polnische Regierung als auch der damalige polnische Primas, August Hlond, nach London geflüchtet waren, wurde Adam Sapieha während der schlimmen Zeit der Okupation von der polnischen Bevölkerung sehr geschätzt und geachtet. Er galt als geistlicher Führer der Polen.


Bei meinem Quellenstudium also fand ich einen Brief Adam Sapiehas an den Breslauer Kardinal Bertram. Der Brief muss aus dem Jahre 1941 gewesen sein. In diesem Brief schrieb Sapieha, dass er sehr besorgt um das Seelenheil der polnischen Zwangsarbeiter in Deutschland sei, denn ihm sei zu Ohren gekommen, dass die polnischen Zwangsarbeiter zunehmend moralisch verwahrlosen würden. Mit der moralischen Verwahrlosung meinte Sapieha einerseit die Verrohung (steigende Gewaltbereitschaft etc.), andererseits aber auch sexuelle Unzucht. Sapieha wollte polnische Priester zu den polnischen Zwangsarbeitern schicken, damit diese eben für die Seelen sorgten. Er bat Kardinal Bertram sich bei der Berliner Regierung für dieses Anliegen einzusetzen. (Bertram schrieb übrigens zurück, dass er selbst schon mehrere Male bei der Berliner Regierung darum gebeten habe, den polnischen Zwangsarbeitern Seelsorger schicken zu dürfen. Leider erfolglos.) 

Sapieha-Denkmal
Nach der Lektüre dieses Briefes war ich zutiefst erschüttert. Die Menschen damals haben so sehr gelitten. Auch Adam Sapieha hat sehr gelitten. Das Gestapo-Gefängnis war direkt neben seinem Bischofssitz und er konnte jede Nacht die Schreie seiner gefolterten Landsleute hören. Und dennoch hat Adam Sapieha nie vergessen, dass das wichtigste im Leben eines Menschen das Seelenheil ist. Er wollte polnische Priester in die Zwangsarbeitslager schicken, damit die Priester sich um das Seelenheil der Inhaftierten kümmern konnten.

Ich saß dort im Archiv und dachte: Wir heute leben in einem riesigen Komfort und haben es sehr gut. Man sollte also eigentlich meinen, dass wir alle Zeit der Welt hätten, uns um unsere Seelenheil zu kümmern. Schließlich müssen wir uns ja nicht mit solch schlimmen äußeren Umständen herumschlagen. Aber was tun wir stattdessen? Wir werden immer bequemer und bemühen uns gar nicht mehr, die Gebote Gottes einzuhalten. Stattdessen sagen wir: "Die Gebote Gottes sind zu anspruchsvoll. Das kann ja gar kein Mensch einhalten. Außerdem ist Gott barmherzig. Er vergibt alles." 

Dazu sagte der unvergleichliche Stefan Wyszynski: 
Stefan Wyszynski

"Wenn wir die Lehre der Kirche nicht einhalten können, bedeutet das nicht, dass die Lehre der Kirche zu anspruchsvoll ist, sondern es bedeutet, dass wir zu schwach sind."

"Nicht die Kirche muss sich der Welt anpassen, sondern die Welt muss sich dem Evangelium anpassen."


So einfach ist das.

Natürlich ist die Barmherzigkeit Gottes größer, als mein enger Verstand das fassen kann. Aber das heißt doch nicht, dass ich die Barmherzigkeit Gottes quasi als Freifahrschein zum Sündigen verstehen darf. Das wäre ein Missbrauch der Göttlichen Barmherzigkeit. Das Aufrichtige Bemühen, nach den Geboten Gottes zu leben und die Sünde zu meiden, sollte schon vorhanden sein.


An dieser Stelle noch ein Beispiel aus jüngster Zeit: Patriarch Sako rief die irakischen Christen zu strengem Fasten, Gebet und Buße bis zum Heiligen Abend auf.
Diejenigen Christen, die unter schwerer Verfolgung leiden und somit ohnehin schon sehr viele Opfer für ihren Glauben bringen, werden von ihrem Bischof aufgerufen, noch mehr Opfer zu bringen. Und die (west-)europäischen Christen?


Möge Adam Sapieha, mögen die leidenden Christen im Irak uns Mahnung sein, die Sache mit dem Seelenheil nicht allzu sehr auf die leicht Schulter zu nehmen.

Dienstag, 20. Januar 2015

Türen

"Bin ich allein? Und wenn nicht, wer ist draußen? Diese Frage stellte ich mir in meinem WG-Zimmer in Cambridge mehrfach am Tag. Ich hatte dies auf die harte Tour gelernt. Die Tür meines Zimmers führte direkt in unsere große Küche. Und die Küche war das soziale Zentrum der WG.
"Oh!", erschrak ich beim ersten Mal. Ich hatte eines Samstagmorgens gemütlich ausgeschlafen, etwas gelesen und war ungewaschen, unrasiert und im Schlafanzug aus der Tür getreten. Auf einmal stand ich meinem Vermieter und mehreren Unbekannten gegenüber. [...]
"Waah!" entfuhr es mir, als ich in T-Shirt und Unterhose einmal unversehens in zwei Handwerker hineinlief. [...]
"Hihihi", war das Einzige, das mir einfiel, als ich eines Abends duschen wollte - und auf einmal im knappen Handtuch vor einer Sechsergruppe ziemlich vergnügter Frauen stand. [...]
Da reichte es mir. In der Folge verließ ich das Zimmer nie mehr einfach so. Ich legte zuvor das Ohr an die Tür und horchte. Ich begann, bevor ich den Raum verließ, das Licht auszuschalten, um an den Türspalten zu sehen, ob in der Küche Licht brannte. Ich legte mich auf den Boden und spähte durch die - glücklicherweise recht großzügige - Ritze, um zu sehen, was sich auf der anderen Seite tat. [...]
Ich begann schließlich, mich vorher immer so anzuziehen und zu verhalten, als seien Fremde in der Wohnung. [...]
Türenöffnen als alltägliches Abenteuer und Quell von Aufregung - das war für mich eigentlich nichts Neues. Entweder die Tür war zu, dann endete dort meine Welt und ich wusste auch nicht, was dahinter geschah. Oder ich öffnete sie, stand dann aber im Zweifelsfall schon mittendrin." (Alexander Görsdorf: Taube Nuss. Nichtgehörtes aus dem Leben eines Schwerhörigen, Reinbek bei Hamburg 2013, S. 136f.)


Ich habe Tränen gelacht, als ich diese Zeilen gelesen habe. Ich mach das nämlich auch immer. Ich mache auch immer das Licht im Zimmer aus, um zu sehen, ob im Flur Licht brennt und ob das bedeutet, dass vielleicht jemand im Flur ist. Auch ich schaue durch die Ritzen oder durch das Schlüsselloch, um zu sehen, ob jemand im Flur ist. Und auch ich ziehe mich vor verlassen des Zimmers immer anständig an.
Bislang hatte ich immer gedacht, ich sei der einzige Mensch auf der Welt, der so verrückte Sachen macht. Umso schöner war es, zu lesen, dass ein anderer Hörgeschädigter das genauso macht.

Schwierig finde ich es, wenn man an einer Bürotür klopft, in der Uni, in der Schule, auf irgendeinem Amt etc. Manchmal höre ich gar nicht, ob derjenige, der drin ist überhaupt antwortet. Höre ich doch etwas, weiß ich nie, WAS er ruft, ob JA oder HEREIN oder NEIN oder MOMENT. Da ich mich oft nicht traue einfach aufzumachen und zu schauen, mache ich es oft so, dass ich nur klopfe und einfach warte, ob der der drin ist, zur Tür kommt und aufmacht. Manche Leute machen das aber nicht gerne und sind dann genervt. Aber wenn man einfach aufmacht und schaut und einen unpassenden Moment erwischt, sind sie auch verärgert.

Dienstag, 13. Januar 2015

Sonntag, 11. Januar 2015

St. Anna

Zur Qualität meiner Handykamera habe ich mich bereits geäußert.
Trotzdem möchte ich gerne dieses Foto posten.
Ich habe es in der Kirche St. Anna in Warschau aufgenommen:

St. Anna - Warschau
Ich habe ja an anderer Stelle bereits geschrieben, wie sehr es mich beeindruckt hat, dass es bei barocken Altären immer einen besonderen Platz gibt, wo die Monstranz mit dem Allerheiligsten ausgesetzt wird. Wenn das Allerheiligste nicht ausgesetzt ist, steht an dem Platz ein Kreuz.
So ist es auch in St. Anna in Warschau. Jetzt in der Weihnachtszeit steht dort jedoch nicht das Kreuz, sondern das Christuskind liegt dort. Ich fand das sehr schön, auch wegen der ausdrucksstarken Symbolik: Eucharistie (also das unblutige Opfer am Altar) - der Opfertod Jesu am Kreuz - Christi Geburt (Gott ist Mensch geworden, er hat sich ganz in unsere Existenz gegeben).

St. Anna in Warschau gilt übrigens als eine der schönsten Kirchen Polens. In den Kirchen, die der Heiligen Anna gewidmet sind, sind in Polen traditionell immer die Studenten beheimatet. Die Warschauer St-Anna-Kirche ist auch deswegen so berühmt, weil Stefan Wyszynski dort sehr oft Predigten gehalten hat, in denen er sich mit dem atheistischen System auseinandersetzte. Am 25. September 1953, wenige Stunden vor seiner Verhaftung, ging er nach der Predigt noch einmal zurück auf die Kanzel und bat die Gläubigen, nicht zu glauben, was die kommunistische Regierung über ihn schreiben würde. "Ich liebe Polen mehr, als mein eigenes Herz."

St. Anna - Warschau

Ich selbst finde die Warschauer St.Annenkirche schön, die Krakauer St. Annenkirche finde ich aber noch schöner. Besonders mag ich das Bild, wo die Heilige Anna die Hand des Jesuskindes küsst.

St. Anna - Krakau


Links ist die St. Annenkirche zu sehen und auf dem Bürgersteig zwei Herren in Soutane :)



Dienstag, 6. Januar 2015

Vorstellung IV




Nach wochenlanger Polenlobhudelei möchte ich heute noch einmal meinem Versprechen gerecht werden und weitererzählen, wie es mir im Leben mit der schlechten Akustik so ergangen ist. Schließlich will ich ja irgendwann auch mal erzählen, was das ganze mit Gott zu tun hat.
Ich werde in einem späteren Post noch erklären, warum, wieso, weshalb ich mich in Polen so wohl fühle. Das hat nämlich auch etwas mit der Scherhörigkeit zu tun. 

Ich habe bereits von meiner Kindheit erzählt und von der Schule hier und hier.




Heute soll es um meine Familie gehen. Die tat sich mit der Behinderung reichlich schwer. Woran genau das gelegen hat, kann ich nicht sagen. Ob es Unbeholfenheit war, ein Nicht-Wahrhaben-Wollen, oder bewusstes Bagatellisieren der Behinderung, vielleicht auch alles zusammen, ich weiß es nicht so genau.

Es war sicher gut, dass man mich sozusagen einfach nebenher hat laufen lassen. So konnte ich aufwachsen wie ein „normales“ Kind. Durfte alles machen, was guthörende Kinder so machen, und bekam auch dieselben Verbote auferlegt. Das war gut so. Es gibt ja auch Eltern, die ihr behindertes Kind zu sehr in Watte packen und es viel zu sehr bevormunden bzw. dem Kind auf Grund der Behinderung zu viel erlauben. Abgesehen davon, dass man dann nicht richtig selbständig werden kann, führt dies auch dazu, dass man sich von seiner Behinderung zu sehr behindern lässt. Dann sagt man letztlich immer: „Ach das kann ich nicht, ich bin ja schwerhörig!“ Weil Mama und Papa, die nicht schwerhörig sind, auch immer sagen: „Das kannst du nicht, du bist schwerhörig.“

Meine Devise war immer: Man kann es wenigstens probieren, und wenn es dann nicht geht, kann man immer noch sagen: „Kann ich nicht.“ Und es ist erstaunlich wieviel man kann, wenn man einfach mal probiert.

Meine Eltern haben vielleicht zu sehr in die andere Richtung übertrieben. Ein bisschen mehr Einfühlung in meine Behinderung hätte mir sehr gut getan. Und ich könnte mir vorstellen, dass es meinen Eltern auch gut getan hätte, wenn sie sich mehr mit meiner Behinderung auseinandergesetzt hätten. Erstens hätten sie mich dann besser verstanden, zweitens hätten sie so auch andere Eltern hörgeschädigter Kinder kennengelernt. Der Austausch mit anderen Betroffenen tut ja immer gut.

Bis auf den heutigen Tag telefoniere ich nur sehr ungern. Zu hoch ist das Katastrophenpotential. Man kann ja beim Telefonieren nicht absehen. Zu groß also die Möglichkeit nicht richtig zu verstehen. Es ist idiotisch, aber ich gehe am liebsten direkt bei den Leuten vorbei, oder kläre es gerne schriftlich. Als es noch keine E-Mails gab (und in meiner Kindheit gab es noch keine!) war das durchaus ein Problem. Meine Eltern jedenfalls taten meine Abneigung gegen das Telefonieren als idiotisches Gehabe ab. „Du stellst dich vielleicht an!“ war der Lieblingsspruch. Einmal sollte ich bei einem Fahrradhändler anrufen und fragen, ob mein Fahrrad schon da sei. Wollte ich aber nicht, denn das war für mich ein Fremder. Zu hoch die Wahrscheinlichkeit, ihn nicht zu verstehen. Meine Eltern zeterten so lange rum, bis ich den Typ schließlich anrief, nur um das Geschimpfe meiner Eltern einzustellen.

Wir hatten damals auch kein Schwerhörigentelefon, sondern ein stinknormales Telefon. Die anderen Schwerhörigen können bis heute nicht begreifen, wie ich mit dem Ding überhaupt telefonieren konnte.

Probleme gab es auch, als besagter Französischlehrer mir absichtlich schlechte mündliche Noten gab. Ich war ziemlich frustriert darüber, aber meine Eltern waren nicht bereit, mir zu helfen. Ich war damals in der elften Klasse. Ich kann durchaus verstehen, dass meine Mutter der Meinung war, ich müsse in dem Alter meine Probleme selbst klären. Aber hätte sie mir denn nicht wenigstens ein Paar Tipps an die Hand geben können, wie man so ein Gespräch mit dem Lehrer angehen kann? Hätte sie mir nicht wenigstens sagen können, dass ich mich an den Vertrauenslehrer der Schule wenden kann? Sicher, Kinder müssen lernen, ihre Probleme selbst zu lösen. Aber die Eltern müssen ihre Kinder auch dazu befähigen.

Auch sonst wurde keinerlei Rücksicht auf meine Bedürfnisse genommen. Bei Familientreffen ging es immer munter durcheinander. Da kann man nur still dabei sitzen und sich langweilen. Immerhin brachte mir das den Ruf ein, ein braves Kind zu sein. Auch ist niemand aus meiner Familie mal auf die Idee gekommen, dass ich als Schwerhörige bei Konflikten und Streitereien zwangsläufig den Kürzeren ziehe. Einfach, weil ich zu lange überlegen muss, was der andere gesagt hat, weil ich zu oft nichts verstehe, und weil ich auf dies Weise gar nicht reagieren kann. Das kann sehr frustrierend sein. Und manchmal platzt einem dann auch mal der Kragen.

Letztlich hat meine Familie mir (wohl unbewusst) suggeriert, dass jede Rücksichtnahme auf mich zu viel verlangt sei und dass ich kein Recht auf Rücksichtnahme habe. Es ist sicher richtig: Ich kann nicht immer erwarten, dass alle Guthörenden Rücksicht auf mich nehmen. Es ist auch für Guthörende nicht immer leicht, einen Schwerhörigen in ihrer Runde zu haben.
Auf der anderen Seite können die Guthörenden aber auch nicht immer erwarten, dass ich frustriert und gelangweilt da sitze, nur damit sie sich den Stress der Rücksichtnahme nicht antun müssen. Ich finde, da sollte ein ausgewogenes Verhältnis gefunden werden, mit dem beide Seiten leben können.
Wenn ich die Rücksicht nicht einfordere, bin ja letztlich ich immer diejenige, die einsteckt. Und das Tolle ist: Die Guthörenden merken das gar nicht. Ich habe mal den Film „Louisa“ gesehen. An einer Stelle sagt Louisa sinngemäß zu ihrem Vater: „Du merkst gar nicht, wie sehr ich mich anstrengen muss, um in Lautsprache zu kommunizieren. Eigentlich könnte ich auch von dir erwarten, dass du dich anstrengst und Gebärdensprache lernst, um mit mir zu kommunizieren. Tue ich aber nicht. Ich kommuniziere in Lautsprache, damit du es leichter hast. Und du bist noch nicht mal dankbar für mein Entgegenkommen.“ Das ist vielleicht ein bisschen hart ausgedrückt, aber es trifft doch den Kern der Sache. Meine Eltern nehmen es auch für total selbstverständlich, dass ich Lautsprache sprechen kann, aber so selbstverständlich ist das bei meinem Hörverlust gar nicht. Da wären ein paar anerkennende Worte auch mal ganz nett. Die bekam ich aber nicht von meinen Eltern, sondern von den Ärzten in der HNO-Klinik in Marburg. Auch wenn die Untersuchungen immer ewig lange gedauert haben und die Wartezeit sehr lang war, meine jährlichen Visiten bei Frau Prof. Berger und Frau Zitawi in Marburg möchte ich nicht missen. Einmal im Jahr gab es Lob dafür, wie gut ich mich mit der Hörbehinderung durchschlage.


Erschwerend kam hinzu, dass meine Tante, eine Zwillingsschwester meiner Mutter, immer gesagt hat, dass meine Mutter sich ja für mich wahnsinnig zurückgenommen hätte und auf ihre Selbsverwirklichung verzichtet hätte etc. pp. Ich hatte den Eindruck, eine ungeheure Last für meine Mutter zu sein. Es dauerte viele Jahre bis ich begriff, dass es nicht so war. Ich habe mich immer bemüht, so "normalhörend" und so pflegeleicht wie möglich zu sein.

Die ganze Situation wurde auch, als ein Frau aus dem Bekanntenkreis meiner Eltern durch mehrer Hörstürze schwerhörig wurde. Sie sagte ganz frank und frei: "Telefonieren kann ich manchmal einfach nicht. Das muss mein Mann machen."
Da schwante mir langsam, dass es keine Anstellerei von mir ist. Auch meine Eltern begriffen langsam, dass sie etwas mehr Rücksicht nehmen müssen.
Außerdem bekam ich durch diese Leidensgenossin auch Einblicke in die Denkweise der Guthörenden und konnte so besser verstehen, warum die Guthörenden sich immer so seltsam benehmen.

Sehr erfreut war ich vor einigen Jahren, als mein Vater mir erzählte, dass er beim Wandern einen Schwerhörigen getroffen habe und dieser Schwerhörige sich bei ihm bedankt. Warum? Weil mein Vater der einzige aus der Gruppe war, der langsamer und deutlicher gesprochen habe, nachdem der Schwerhörige auf seine Behinderung hingewiesen habe. Mein Vater erzählte ihm, dass er eine Schwerhörige Tochter habe und der Mann erwiederte: Es war mir klar, dass sie in ihrer Familie jemand Schwehöriges haben.

Sonntag, 4. Januar 2015

Schwuppdiwupp

Im Moment scheine ich ein Abo darauf zu haben, schwuppdiwupp aus einem Gespräch rauszufliegen.

Vor ein paar Tagen stand ich im Gespräch mich einer Freundin und dann kam eine Familie hinzu (4 Personen) und schwuppdiwupp unterhielten sich nur noch meine Freundin und die Familie, während ich überhaupt nicht mehr mitkam. Ich war also immer noch anwesend, aber am Gespräch konnte ich mich nicht beteiligen. Ich stand also nur noch rum und fühlte mich überflüssig.

Ebenfalls vor ein paar Tagen stand ich im Gespräch mit einer Freundin und dann kamen zwei andere Freundinnen und - schwuppdiwupp - bekam ich wieder nichts mit von dem Gespräch. Dabei hatten besagte Freundin und ich unser Gespräch noch gar nicht richtig beendet. Ich verdrückte mich.

Und heute morgen stand ich wieder im Gespräch mit einer Freundin, dann kam eine andere Frau vorbei, und schwuppdiwupp unterhielten sich wieder nur die beiden, und ich war außen vor.

Äh ... und jetzt? Was macht man dann am besten? Rumstehen, bis die Guthörenden fertig sind? Sich verdrücken? Sagen, dass man gerne auch am Gespräch teilhaben würde?

Ich weiß, die Guthörenden meinen das nicht böse. In zwei Fällen immerhin ist jeweils einem der Beteiligten dann auch irgendwann aufgefallen, dass ich plötzlich außen vor war. Auch wenn ich weiß, dass die Guthörenden es meist nicht böse meinen, auch wenn ich weiß, dass sie mich meist nicht absichtlich ausschließen, frustrierend ist es trotzdem.

Es ist auch deswegen frustrierend, weil ich als Schwerhörige niemals (wirklich niemals) andere Leute im Gespräch unterbreche. Ich warte immer so lange, bis die Leute fertig sind. Wenn es dringend ist, warte ich ab, bis eine Pause im Gespräch entsteht, in der ich dann kurz frage, ob ich stören darf. Warum mache ist das? Weil meine Lebenserfahrung ist, dass es scheiße ist, wenn jemand einfach so in ein Gespräch hineinplatzt.
Das dumme an der ganzen Sache ist nun, dass ich also versuche, rücksichtsvoll zu sein, die Guthörenden jedoch dieses rücksichtsvolle Verhalten umgekehrt nicht an den Tag legen, obwohl ich auf diese Rücksichtnahme dringend angewiesen bin.

In Gruppengesprächen mit Guthörenden fühlt man sich als Schwerhöriger oft, als wäre man gar nicht da. Als wäre man Luft.
Besonders schön ist es immer, wenn einem Guthörenden plötzlich auffällt, dass da in der Runde noch jemand ist. Dann kommt immer der Klassiker, den alle Schwerhörige kennen: Der Guthörende wendet sich an den Schwerhörigen und fragt extra laut: "Was sagts du denn dazu?" Das muss man sich mal vorstellen: Man hat den ganzen Abend mit lauter Guthörenden am Tisch gesessen, hat von dem Gespräch kein Wort verstanden und dann kommt diese Frage. Alle Anwesenden verstummen und starren den Schwerhörigen an.

Ja, was sagt man dann? Ich sage meistens: "Sorry, ich weiß nicht genau, worum es gerade geht." Dann beginnt der Fragesteller umständlich zu erklären, worum es zuvor ging, und bevor ich als Schwerhörige überhaupt die Möglichkeit habe, meine Meinung kundzutun, haben alle Guthörenden sich schon das Interesse verloren, wenden sich wieder ab und reden ohne mich weiter. Der Fragesteller kann sich natürlich nicht so ohne Weiteres abwenden, aber irgendwann will auch er gerne wieder mit den anderen reden. Nicht umsonst schreibt Alexander Görsdorf, dass er sich auf Netzwerkertreffen (die ja eigentlich zum Kennenlernen gedacht sind) regelmäßig auf der Toilette versteckte, nur um nicht allein herumszustehen (Alexander Görsdorf: Taube Nuss, Reinbek beih Hamuburg 2013, S. 17).

Freitag, 2. Januar 2015

Herz Jesu in Warschau

Ich hatte ja eigentlich vorgehabt, schon von Polen aus ein paar Fotos und Berichte zu posten, aber da hat mir mein Netbook einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Nun gibt es die Fotos also erst jetzt.

Diesmal von mir fotografiert

Ein Bild das ich sehr mag, ist das Herz-Jesu-Bild in der Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau. Die Heilig-Kreuz-Kirche habe ich bereits erwähnt, das die Kirche mit dem kreuztragenden Christus.
Das Herz-Jesu-Bild zeigt Jesus, der am Ufer der Weichsel steht. Auf der anderen Weichselseite befindet sich die Warschauer Altstadt. Am Stadtbild kann man erkennen, dass es sich um das "neue" Warschau handelt (also nach dem Krieg). Und im Hintergrund steigt die Morgenröte auf. (Ganz Gewitzte mögen jetzt fragen, woher ich weiß, dass es die Morgenröte und nicht das Abendrot ist. Nun, ich weiß es einfach.)

Ich finde das Bild sehr schön, denn es hat so eine hoffnungsvolle Note. "Am Ende hat die Liebe gesiegt." sagt mir dieses Bild. Das sollten wir nie vergessen.

Die Qualität meiner Handykamera ist - gelinde gesagt - nicht die allerbeste, aber ich hoffe man kann trotzdem erkenne, dass es sich um ein Herz-Jesu-Bild handelt:

Oben ist die Heilige Agnes, darunter das Herz-Hesu-Bild  und das kleine Bild ganz unten zeigt den Heiligen Judas Thaddäus.

Gesegnetes Neues Jahr

Heute stieß ich beim Beiboot Petri auf die Predigt von Bischof Wiesemann (Speyer). Die Predigt hat auch mich sehr berührt, weshalb ich sie hier verlinke.

Endlich mal eine Predigt, die genau die Fragen beantwortet, die ich mir das ganze Jahr immer gestellt habe.
Die alle meine Ängste aufgreift.
Endlich mal eine Predigt, die keinen billigen Optimismus verbreitet, keine hohlen Phrasen.
Und doch eine Predigt, die auch keinen Pessimusmus verbreitet.
Endlich mal eine Predigt, die die Realität nicht ausblendet und dennoch eine hoffnungsfrohe Botschaft hat!

In diesem Sinne wünsche ich meinen Lesern ein gesegnetes Jahr 2015!

Vergelt's Gott an Bischof Wiesemann.
Vergelt's Gott an das Beiboot Petri.