Jasna Góra

Jasna Góra

Dienstag, 20. Januar 2015

Türen

"Bin ich allein? Und wenn nicht, wer ist draußen? Diese Frage stellte ich mir in meinem WG-Zimmer in Cambridge mehrfach am Tag. Ich hatte dies auf die harte Tour gelernt. Die Tür meines Zimmers führte direkt in unsere große Küche. Und die Küche war das soziale Zentrum der WG.
"Oh!", erschrak ich beim ersten Mal. Ich hatte eines Samstagmorgens gemütlich ausgeschlafen, etwas gelesen und war ungewaschen, unrasiert und im Schlafanzug aus der Tür getreten. Auf einmal stand ich meinem Vermieter und mehreren Unbekannten gegenüber. [...]
"Waah!" entfuhr es mir, als ich in T-Shirt und Unterhose einmal unversehens in zwei Handwerker hineinlief. [...]
"Hihihi", war das Einzige, das mir einfiel, als ich eines Abends duschen wollte - und auf einmal im knappen Handtuch vor einer Sechsergruppe ziemlich vergnügter Frauen stand. [...]
Da reichte es mir. In der Folge verließ ich das Zimmer nie mehr einfach so. Ich legte zuvor das Ohr an die Tür und horchte. Ich begann, bevor ich den Raum verließ, das Licht auszuschalten, um an den Türspalten zu sehen, ob in der Küche Licht brannte. Ich legte mich auf den Boden und spähte durch die - glücklicherweise recht großzügige - Ritze, um zu sehen, was sich auf der anderen Seite tat. [...]
Ich begann schließlich, mich vorher immer so anzuziehen und zu verhalten, als seien Fremde in der Wohnung. [...]
Türenöffnen als alltägliches Abenteuer und Quell von Aufregung - das war für mich eigentlich nichts Neues. Entweder die Tür war zu, dann endete dort meine Welt und ich wusste auch nicht, was dahinter geschah. Oder ich öffnete sie, stand dann aber im Zweifelsfall schon mittendrin." (Alexander Görsdorf: Taube Nuss. Nichtgehörtes aus dem Leben eines Schwerhörigen, Reinbek bei Hamburg 2013, S. 136f.)


Ich habe Tränen gelacht, als ich diese Zeilen gelesen habe. Ich mach das nämlich auch immer. Ich mache auch immer das Licht im Zimmer aus, um zu sehen, ob im Flur Licht brennt und ob das bedeutet, dass vielleicht jemand im Flur ist. Auch ich schaue durch die Ritzen oder durch das Schlüsselloch, um zu sehen, ob jemand im Flur ist. Und auch ich ziehe mich vor verlassen des Zimmers immer anständig an.
Bislang hatte ich immer gedacht, ich sei der einzige Mensch auf der Welt, der so verrückte Sachen macht. Umso schöner war es, zu lesen, dass ein anderer Hörgeschädigter das genauso macht.

Schwierig finde ich es, wenn man an einer Bürotür klopft, in der Uni, in der Schule, auf irgendeinem Amt etc. Manchmal höre ich gar nicht, ob derjenige, der drin ist überhaupt antwortet. Höre ich doch etwas, weiß ich nie, WAS er ruft, ob JA oder HEREIN oder NEIN oder MOMENT. Da ich mich oft nicht traue einfach aufzumachen und zu schauen, mache ich es oft so, dass ich nur klopfe und einfach warte, ob der der drin ist, zur Tür kommt und aufmacht. Manche Leute machen das aber nicht gerne und sind dann genervt. Aber wenn man einfach aufmacht und schaut und einen unpassenden Moment erwischt, sind sie auch verärgert.

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