Jasna Góra

Jasna Góra

Freitag, 23. Januar 2015

Einsamkeit

"Einsamkeit ist keine Frage von räumlicher Nähe oder Ferne zu Mitmenschen, sondern entwickelt sich aus dem Verlust der inneren Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Schwerhörige werden vor allem dann auf das Gefühl der Einsamkeit gestoßen, wenn sie mit anderen, gut hörenden Menschen zusammen sind (Arbeitsplatz, Stammtisch, Familienfeier): ausgeschlossen aus der Gemeinschaft des Augenblicks." (Quelle)

Ich finde diese Beschreibung sehr gelungen. Sie beschreibt sehr gut, was Einsamkeit für einen Hörgeschädigten bedeutet. Man mag vielleicht jetzt denken, dass auch Guthörende mal einsam sind. Sicher sind sie das. Aber die Einsamkeit der Hörgeschädigten ist nocheinmal eine ganz andere.
Man fühlt sich einsam, wenn man unter Menschen ist, weil man den Gesprächen nicht folgen kann. Man fühlt sich aber auch einsam, wenn man sich zurückzieht und abkapselt.


Was mich am meisten belastet, ist das Gefühl, nirgends dazu zu gehören. Ich bin in dieser Hinsicht doppelt betroffen. Einerseits bin ich hörgeschädigt und lebe damit in einer ganz anderen Welt, als meine Eltern, Freunde etc. Auf der anderen Seite bin ich aber in der "hörenden" Welt groß geworden und ich komme in ihr bestens zurecht. Daher bin ich in der "hörgeschädigten" Welt auch nicht richtig zu Hause. Ich kann mich noch gut an mein erstes Treffen mit der Selbsthilfegruppe für Schwerhörige erinnern. So eine Selbsthilfegruppe ist eine gute Sache. Man trifft andere Betroffene und lernt, wie man sich selbst helfen kann. Durch diese Begegnungen lernt man auch, seine Behinderung zu akzeptieren. Doch mich hat das ganze eher abgeschreckt. Ich war damals 15 oder 16 Jahre alt. Ich fand es zwar auch total toll, endlich Menschen zu treffen, die dieselben Probleme haben, denen ich nicht groß erklären muss, dass ich mich nicht über drei Stockwerke hinweg unterhalten kann etc. Allerdings ging es bei diesem ersten Treffen vor allem um meinen Lebensweg, der bei den Schwerhörigen der Selbsthilfegruppe irgendwie gar nicht gut ankam. Sie waren entsetzt darüber, dass ich an einer Regelschule war, sie waren entsetzt darüber, dass ich Fremdsprachen lernte (und dann auch noch Französisch!) und sie waren entsetzt darüber, dass ich keinerlei Nachteilsausgleich in Anspruch nahm.

Ich verstehe ja: Da haben sich die Leute jahrelang um den Nachteilsausgleich bemüht und dann kommt plötzlich eine daher, die das doch alles ohne Nachteilsausgleich konnte und auf diese Weise den "Nichtbehinderten" suggeriert, dass die Nachteilsausgleiche überhaupt nicht nötig seien.
Ich bin meinen Lebensweg auf der Regelschule aber doch nur deswegen so gegangen, weil ich es nicht besser wusste und weil ich halt eben schlau genug war, um das so zu schaffen. Es war nicht meine Absicht, die Lobbyarbeit des Schwerhörigenbundes zu durchkreuzen. Mir ist völlig klar, dass nicht jeder Schwerhörige den Weg gehen kann, den ich gegangen bin.

Ich war damals bei dem Treffen aber doch enttäuscht. Die anderen Schwerhörigen hätten sich ja auch mal mit mir freuen können, anstatt mich dafür zu schimpfen, dass ich die gesetzlichen Nachteilsausgleiche nicht in Anspruch genommen habe.
Auch finde ich es schade, dass die Schwerhörigen selbst sagen, dass Schwerhörige keine Fremdsprachen lernen könnten. Ich finde, wir können dass sehr wohl! Man muss vielleicht etwas mehr Geduld mit uns haben, aber wir können das sehr wohl!

Der Abend bei der Selbsthilfegruppe war für mich auch aus einem anderen Grund schwierig. Ich war zum ersten Mal mit meiner Behinderung konfrontiert. Das klingt jetzt komisch, ich bin ja schon immer hörgeschädigt. Aber an jenem Abend habe ich zum ersten Mal meine eigene Behinderung von außen gesehen. Ich habe gesehen, welche Folgen eine Hörschädigung haben kann (etwa eine verwaschene Aussprache, oder dass man ständig ganz angestrengt guckt, weil man von den Lippen absieht). Ich fühlte mich an jenem Abend zum ersten mal in meinem Leben behindert. Das musste ich auch erstmal verdauen.

Mein Einstieg in die "Schwerhörigenszene" verlief also eher holprig, und so sollte es auch bleiben.

In Tübingen gab es lange Zeit einen Stammtisch für hörgeschädigte Studenten. Dort bin ich in den ersten Jahren meines Studiums ab und zu mal hingegangen. Das tolle an diesem Stammtisch war, dass es keinerlei Probleme mit der Kommunikation gab. Was mich da allerdings tierisch nervte, war der Gruppenzwang. Sie sörten sich daran, dass ich gegen Mitternacht nach Hause ging, weil ich gerne schlafen wollte, während sie selbst noch bis zum Morgengrauen weitertranken. Ich sollte unbedingt mit zum Schwerhörigenverein nach Stuttgart kommen und dort Sport treiben. Ich hatte ständig das Gefühl, dass man von mir erwartet, dass ich alles nur noch mit Schwerhörigen zusammen mache. Das kann ich mir aber überhaupt nicht vorstellen. Ich bin der hörenden Welt groß geworden. Die Welt der Hörgeschädigten ist mir einfach zu klein und zu eng. Da bin ich ganz einer Meinung mit Bonnie Poitras Tucker.

Das ist mir besonders beim Sommercamp 2006 bewusst geworden. Das Sommercamp der Bundesjugend im DSB ist eine gute Sache. Da treffen sich junge Hörgeschädigte aus ganz Deutschland um einfach mal zu entspannen und Spaß zu haben. Leider merkte ich ziemlich schnell, dass diese jungen Leute zwar alle ganz nett waren, aber ich konnte mit niemandem über Gott sprechen. Es waren keine gläubigen jungen Leute dabei. Nun ist Gott aber das Wichtigste in meinem Leben, ich kann ihn also nicht einfach ausblenden und so leben als ob es ihn nicht gäbe. So war ich zwar unter meinesgleichen und fühlte mich dennoch ausgeschlossen. Und auch hier spürte ich, dass manche Hörgeschädigte mir gegenüber Vorbehalten hatten, weil ich so sehr in der "normalhörenden" Welt lebe. Tatsächlich kam es in den Workshops teilweise zu heftigen Diskussionen zwischen Leuten, die meinten, man können sich nicht ganz aus der hörenden Welt zurückziehen, und solchen, die meinten, man könne das sehr wohl.

Wenige Wochen vorher war ich irgendwo in der Nähe von München bei einem Treffen von Jugend 2000 gewesen. Zwei nette junge Frauen aus Horb hatten mich mitgenommen. Und obwohl ich da mal wieder die einzige Hörgeschädigte war, fühlte ich mich dennoch integriert. Ich durfte mich immer den beiden Damen anschließen, sie waren sehr rücksichtsvoll und niemand störte sich daran, dass ich irgendwann um 12 Uhr dann schlafen gehen wollte. Das ist doch interessant, oder?

4 Kommentare:

  1. Ich denke, dass dieser Beitrag VIELE anspricht, weil sich eben viele einsam fühlen ... vielleicht sind sie es nicht wirklich, aber dennoch fühlen sie sich ausgeschlossen ... Da gibt dieser Beitrag offenbar Trost.

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    1. Danke für die Rückmeldung. Ja, so wird es wohl sein. Als Schwerhöriger denkt man halt immer, dass die Guthörenden sich überall integriert fühlen. Deswegen ist es für mich eine neue Perspektive, dass auch Guthörende sich einsam fühlen (ich glaube nämlich, so viele hörgeschädigte Leser habe ich nicht).

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  2. In einer Familie mit vielen Kindern habe ich von MEHREREN den Ausspruch gehört, dass sie sich in der Gemeinschaft ihrer Geschwister immer als Außenseiter gefühlt haben ... Daher bin ich darauf gekommen ...
    Natürlich SIND Schwerhörige oft - viel zu oft - ausgeschlossen, weil sie die laufende Unterhaltung nicht verfolgen können, aber das ist nicht die einzige Form der Einsamkeit.

    Wie viele Eheleute leben nebeneinander her und ... haben sich nichts mehr zu sagen?

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    1. Auch das ist ein interessanter Aspekt, dass man sich selbst wenn man eine große Familie hat, einsam fühlen kann...

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