Jasna Góra

Jasna Góra

Dienstag, 6. Januar 2015

Vorstellung IV




Nach wochenlanger Polenlobhudelei möchte ich heute noch einmal meinem Versprechen gerecht werden und weitererzählen, wie es mir im Leben mit der schlechten Akustik so ergangen ist. Schließlich will ich ja irgendwann auch mal erzählen, was das ganze mit Gott zu tun hat.
Ich werde in einem späteren Post noch erklären, warum, wieso, weshalb ich mich in Polen so wohl fühle. Das hat nämlich auch etwas mit der Scherhörigkeit zu tun. 

Ich habe bereits von meiner Kindheit erzählt und von der Schule hier und hier.




Heute soll es um meine Familie gehen. Die tat sich mit der Behinderung reichlich schwer. Woran genau das gelegen hat, kann ich nicht sagen. Ob es Unbeholfenheit war, ein Nicht-Wahrhaben-Wollen, oder bewusstes Bagatellisieren der Behinderung, vielleicht auch alles zusammen, ich weiß es nicht so genau.

Es war sicher gut, dass man mich sozusagen einfach nebenher hat laufen lassen. So konnte ich aufwachsen wie ein „normales“ Kind. Durfte alles machen, was guthörende Kinder so machen, und bekam auch dieselben Verbote auferlegt. Das war gut so. Es gibt ja auch Eltern, die ihr behindertes Kind zu sehr in Watte packen und es viel zu sehr bevormunden bzw. dem Kind auf Grund der Behinderung zu viel erlauben. Abgesehen davon, dass man dann nicht richtig selbständig werden kann, führt dies auch dazu, dass man sich von seiner Behinderung zu sehr behindern lässt. Dann sagt man letztlich immer: „Ach das kann ich nicht, ich bin ja schwerhörig!“ Weil Mama und Papa, die nicht schwerhörig sind, auch immer sagen: „Das kannst du nicht, du bist schwerhörig.“

Meine Devise war immer: Man kann es wenigstens probieren, und wenn es dann nicht geht, kann man immer noch sagen: „Kann ich nicht.“ Und es ist erstaunlich wieviel man kann, wenn man einfach mal probiert.

Meine Eltern haben vielleicht zu sehr in die andere Richtung übertrieben. Ein bisschen mehr Einfühlung in meine Behinderung hätte mir sehr gut getan. Und ich könnte mir vorstellen, dass es meinen Eltern auch gut getan hätte, wenn sie sich mehr mit meiner Behinderung auseinandergesetzt hätten. Erstens hätten sie mich dann besser verstanden, zweitens hätten sie so auch andere Eltern hörgeschädigter Kinder kennengelernt. Der Austausch mit anderen Betroffenen tut ja immer gut.

Bis auf den heutigen Tag telefoniere ich nur sehr ungern. Zu hoch ist das Katastrophenpotential. Man kann ja beim Telefonieren nicht absehen. Zu groß also die Möglichkeit nicht richtig zu verstehen. Es ist idiotisch, aber ich gehe am liebsten direkt bei den Leuten vorbei, oder kläre es gerne schriftlich. Als es noch keine E-Mails gab (und in meiner Kindheit gab es noch keine!) war das durchaus ein Problem. Meine Eltern jedenfalls taten meine Abneigung gegen das Telefonieren als idiotisches Gehabe ab. „Du stellst dich vielleicht an!“ war der Lieblingsspruch. Einmal sollte ich bei einem Fahrradhändler anrufen und fragen, ob mein Fahrrad schon da sei. Wollte ich aber nicht, denn das war für mich ein Fremder. Zu hoch die Wahrscheinlichkeit, ihn nicht zu verstehen. Meine Eltern zeterten so lange rum, bis ich den Typ schließlich anrief, nur um das Geschimpfe meiner Eltern einzustellen.

Wir hatten damals auch kein Schwerhörigentelefon, sondern ein stinknormales Telefon. Die anderen Schwerhörigen können bis heute nicht begreifen, wie ich mit dem Ding überhaupt telefonieren konnte.

Probleme gab es auch, als besagter Französischlehrer mir absichtlich schlechte mündliche Noten gab. Ich war ziemlich frustriert darüber, aber meine Eltern waren nicht bereit, mir zu helfen. Ich war damals in der elften Klasse. Ich kann durchaus verstehen, dass meine Mutter der Meinung war, ich müsse in dem Alter meine Probleme selbst klären. Aber hätte sie mir denn nicht wenigstens ein Paar Tipps an die Hand geben können, wie man so ein Gespräch mit dem Lehrer angehen kann? Hätte sie mir nicht wenigstens sagen können, dass ich mich an den Vertrauenslehrer der Schule wenden kann? Sicher, Kinder müssen lernen, ihre Probleme selbst zu lösen. Aber die Eltern müssen ihre Kinder auch dazu befähigen.

Auch sonst wurde keinerlei Rücksicht auf meine Bedürfnisse genommen. Bei Familientreffen ging es immer munter durcheinander. Da kann man nur still dabei sitzen und sich langweilen. Immerhin brachte mir das den Ruf ein, ein braves Kind zu sein. Auch ist niemand aus meiner Familie mal auf die Idee gekommen, dass ich als Schwerhörige bei Konflikten und Streitereien zwangsläufig den Kürzeren ziehe. Einfach, weil ich zu lange überlegen muss, was der andere gesagt hat, weil ich zu oft nichts verstehe, und weil ich auf dies Weise gar nicht reagieren kann. Das kann sehr frustrierend sein. Und manchmal platzt einem dann auch mal der Kragen.

Letztlich hat meine Familie mir (wohl unbewusst) suggeriert, dass jede Rücksichtnahme auf mich zu viel verlangt sei und dass ich kein Recht auf Rücksichtnahme habe. Es ist sicher richtig: Ich kann nicht immer erwarten, dass alle Guthörenden Rücksicht auf mich nehmen. Es ist auch für Guthörende nicht immer leicht, einen Schwerhörigen in ihrer Runde zu haben.
Auf der anderen Seite können die Guthörenden aber auch nicht immer erwarten, dass ich frustriert und gelangweilt da sitze, nur damit sie sich den Stress der Rücksichtnahme nicht antun müssen. Ich finde, da sollte ein ausgewogenes Verhältnis gefunden werden, mit dem beide Seiten leben können.
Wenn ich die Rücksicht nicht einfordere, bin ja letztlich ich immer diejenige, die einsteckt. Und das Tolle ist: Die Guthörenden merken das gar nicht. Ich habe mal den Film „Louisa“ gesehen. An einer Stelle sagt Louisa sinngemäß zu ihrem Vater: „Du merkst gar nicht, wie sehr ich mich anstrengen muss, um in Lautsprache zu kommunizieren. Eigentlich könnte ich auch von dir erwarten, dass du dich anstrengst und Gebärdensprache lernst, um mit mir zu kommunizieren. Tue ich aber nicht. Ich kommuniziere in Lautsprache, damit du es leichter hast. Und du bist noch nicht mal dankbar für mein Entgegenkommen.“ Das ist vielleicht ein bisschen hart ausgedrückt, aber es trifft doch den Kern der Sache. Meine Eltern nehmen es auch für total selbstverständlich, dass ich Lautsprache sprechen kann, aber so selbstverständlich ist das bei meinem Hörverlust gar nicht. Da wären ein paar anerkennende Worte auch mal ganz nett. Die bekam ich aber nicht von meinen Eltern, sondern von den Ärzten in der HNO-Klinik in Marburg. Auch wenn die Untersuchungen immer ewig lange gedauert haben und die Wartezeit sehr lang war, meine jährlichen Visiten bei Frau Prof. Berger und Frau Zitawi in Marburg möchte ich nicht missen. Einmal im Jahr gab es Lob dafür, wie gut ich mich mit der Hörbehinderung durchschlage.


Erschwerend kam hinzu, dass meine Tante, eine Zwillingsschwester meiner Mutter, immer gesagt hat, dass meine Mutter sich ja für mich wahnsinnig zurückgenommen hätte und auf ihre Selbsverwirklichung verzichtet hätte etc. pp. Ich hatte den Eindruck, eine ungeheure Last für meine Mutter zu sein. Es dauerte viele Jahre bis ich begriff, dass es nicht so war. Ich habe mich immer bemüht, so "normalhörend" und so pflegeleicht wie möglich zu sein.

Die ganze Situation wurde auch, als ein Frau aus dem Bekanntenkreis meiner Eltern durch mehrer Hörstürze schwerhörig wurde. Sie sagte ganz frank und frei: "Telefonieren kann ich manchmal einfach nicht. Das muss mein Mann machen."
Da schwante mir langsam, dass es keine Anstellerei von mir ist. Auch meine Eltern begriffen langsam, dass sie etwas mehr Rücksicht nehmen müssen.
Außerdem bekam ich durch diese Leidensgenossin auch Einblicke in die Denkweise der Guthörenden und konnte so besser verstehen, warum die Guthörenden sich immer so seltsam benehmen.

Sehr erfreut war ich vor einigen Jahren, als mein Vater mir erzählte, dass er beim Wandern einen Schwerhörigen getroffen habe und dieser Schwerhörige sich bei ihm bedankt. Warum? Weil mein Vater der einzige aus der Gruppe war, der langsamer und deutlicher gesprochen habe, nachdem der Schwerhörige auf seine Behinderung hingewiesen habe. Mein Vater erzählte ihm, dass er eine Schwerhörige Tochter habe und der Mann erwiederte: Es war mir klar, dass sie in ihrer Familie jemand Schwehöriges haben.

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