Jasna Góra

Jasna Góra

Sonntag, 15. März 2015

Fluch oder Segen?

Im Kapitel über den Barock, habe ich versucht zu erklären, warum ich als Schwerhörige von der "barocken" Liturgie so fasziniert bin. Ähnliches gilt übrigens auch für die orthodoxe Liturgie, die ich in der orthodoxen Kathedrale von Warschau schon mal mitfeiern durfte.
Orthodoxe Kathedrale in Warschau

Nun versuche ich zu erklären, wie ich die Schwerhörigkeit trotz aller Mühen und auch Leiden, die sie mit sich bringt, doch auch ein Stück weit als Segen erfahren habe.

Schwerhörigkeit ist schwierig. Man erlebt fast täglich skurille Situationen, zum Beispiel im Schwimmbad, und oft kann man gar nichts dazu. Man wird oft ungerechtfertigterweise gescholten. Man fühlt sich oft ausgeschlossen und einsam. (Der Post über die Einsamkeit hat übrigens eine große Resonanz gefunden, ich weiß nicht genau, warum.)

Warum habe ich die Schwerhörigkeit manchmal dennoch als Segen oder Chance begriffen?
Da kommen verschiedene Aspekte zusammen.

1) Eine Sache ist die, dass man andere Prioritäten setzt, wenn man eine Behinderung hat, oder eine schwere Krankheit, oder... Ich wusste schon früh, dass es nicht so unbedingt wichtig ist, jeden Tag in den neuesten Markenklamotten aufzukreuzen. Oder mit dem neusten Gameboy, dem neusten Handy... Wichtig sind doch eher Familie, Freunde und Gott.

2) Wer sich schon die Mühe macht, sich mit einer Schwerhörigen anzufreunden, meint es (meistens) ernst. Auf meine Freunde konnte ich mich immer verlassen. Es gibt ja den Spruch, dass man erst in der Not merkt, wer die wahren Freunde sind. Schwerhörigkeit ist in diesem Fall dann eine Art "Dauernot". Sicher, auch ich habe hier und da Enttäuschungen erlebt (und auch andere enttäuscht), wer erlebt das nicht... Aber Freundschaften mit Schwerhörigen erfordern doch sehr viel Mühe (auf beiden Seiten), und disese Mühe macht man sich nicht, wenn man nicht wirklich ein Interesse an der Person hat.

3) Als Schwerhöriger ist man oft auf sich selbst zurückgeworfen. Wenn man in einer Gruppe schwätzender Menschen sitzt und doch nichts versteht... Ja, was macht man dann? Den eigenen Gedanken nachhängen. Und wie oft kommt es vor, dass man in einer Gruppe sitzt oder unterwegs ist!
Eine Einsiedlerin hat mal gesagt, dass man nicht vor sich weglaufen kann, wenn man als Einsiedler lebt. Man ist sozusagen ständig mit sich selbst konfrontiert und kann somit die Fehler nicht auf andere schieben. Wer nicht vor sich selbst weglaufen kann, kann auch nicht so leicht vor Gott weglaufen. So gesehen ist Schwerhörigkeit auch eine Einsiedelei. (Der Unterschied ist allerdings, dass der Einsiedler seinen Weg in der Regel aus freiem Willen wählt, während der Schwerhörige keine Wahl hat.)
Sicher, auch die eigenen Gedanken können einen zerstreuen, aber zumindes ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich so auch mal mit den drängenden Fragen des Lebens auseinandersetzt, deutlich höher. Nicht umsonst gilt in der Bibel die Wüste als Ort der Gottesbegegnung. In der Stille können wir Gott begegnen.

4) Die Zerstreuungsmöglichkeiten, mit denen die Leute sich heutzutag von Gott fernhalten, sind bei Schwerhörigen stark eingeschränkt. Theater? Da verstehe ich nichts. Kino? Da verstehe ich auch nichts. Rock-Konzert? Ist mir zu laut, ich höre eh schon schlecht, da muss ich mir ja nicht noch einen Hörschaden durch zu laute Musik zulegen. Disco? Siehe Rock-Konzert, außerdem kann ich da eh mit niemandem ins Gespräch oder in Kontakt kommen. Fernsehen? OK, inzwischen gibt es öfter mal Untertitel, aber in meiner Kindheit und Jugend gab es die nicht, daher: Siehe Kino. Sich  mit dem Walkman (heute mit dem Smartphone) die Ohren zudröhnen? Geht nicht, die Stöpsel gehen nicht ins Ohr, schließlich sitzt da das Hörgerät. Was bleibt, sind Bücher (und heute das Internet, das für mich tatsächlich ein bisschen zu einer Zersreuungsfalle geworden ist). Sicher, auch Bücher können dem Glauben abträglich sein, je nachdem, was man da so liest, dennoch würde ich dafür plädieren, dass das doch etwas anderes ist, als Fernsehen oder Disco.

An dieser Stelle ist ein kleiner Einschub nötig: Ich bin kein Lustfeind, auch wenn man uns Katholiken das ja gerne unterstellt. Ich habe nichts gegen Entspannung und Zerstreuung. Ich habe auch nichts gegen Genuss. Man darf und soll sich auch erholen, man darf uns soll auch Dinge tun, die einem gut tun. Man darf sich ein Glas Wein gönnen, ein Stück Schokolade etc. "Freu dich recht von Herzen Kind, Gott will, dass wir fröhlich sind." Und natürlich gibt es auch schöne, wertvolle Filme, die uns den Blick für das Gute öffnen.

Ich finde aber auch, dass die oben genannten Zerstreuungsmöglichkeiten eben doch auch dazu beitragen können, dass man vor sich selbst und somit vor Gott wegläuft. (So wie Schokolade oder Wein auch schädlich sein können, nämlich wenn sie im Übermaß genossen werden.) Im Jahre 1966 feierte die katholische Kirche in Polen ihr Tausendjähriges Bestehen. Im Rahmen dieses Jubiläums gab es zahlreiche kirchliche Feierlichkeiten, verbunden mit einen Evagelisationsprogramm. Die kommunistische Partei versuchte, die Leute vom Besuch dieser Feiern abzuhalten. Und wie versuchte sie es? Neben Verkehrsbehinderungen, Betriebsversammlungen mit Anwesenheitspflicht am Sonntag, Stören der Heiligen Messe etc. gab es noch eine besondere Strategie: man bot zeitgleich zur Heiligen Messe kostenloses Open-Air-Kino, Tanzveranstaltungen oder Theateraufführungen an. Jetzt überlegen wir noch uns einmal, womit der heutige moderne Mensch seine Freizeit so zubringt. Nun???? 

Insofern: Es klingt vielleicht zunächst einmal hart, dass Schwerhörige von so vielen Vergnügungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind (wobei sich im Bereich Barrierefreiheit inzwischen doch auch einiges getan hat), ich habe das aber inzwischen als Chance begriffen. Und es gibt immer noch viele schöne und sinnvolle Erholungsmöglichkeiten, dich auch ich als Schwerhörige nutzen kann (Spazieren gehen, Stricken, Flöte spielen etc.). 

5) Wenn man behindert ist, lernt man doch recht früh, dass zum Leben auch die Mühsal gehört. Das Christentum ist keine Wellnessreligion, auch wenn man in unseren Breiten bisweilen den Eindruck hat, dass die Christen ihre Religion eben doch in eine Wellnessreligion umwandeln möchten. "Wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Das ist keine Komfortzone,
keine Wellnessoase. Das Christentum ist anspruchsvoll. Wer das leugnet, raubt dem Christentum seinen innersten Kern und damit auch seine Anziehungskraft.
Ich habe früh gelernt, gegen den Strom zu schwimmen, mir ist schon früh ein etwas rauherer Wind entgegengeweht. Das kommt mir heute, wo man als gläubiger Katholik ja auch oft gegen den Strom schwimmen muss, sehr zu gute. Wenn man sowieso oft schon der Außenseiter ist, macht es nichts mehr, wenn man dann auf dem Gebiet auch noch der Außenseiter ist.

Kürzlich habe ich auf facebook mal wieder den Spruch gelesen, dass es für Gott manchmal nur einen Weg gebe, um in das Herz eines Menschen zu gelangen, nämlich es zu brechen.

Objektiv kann ich den Spruch so nicht stehen lassen und als Historikerin finde ich ihn auch sehr makaber. Subjektiv jedoch kann ich nur sagen, für mein bisheriges Leben stimmt's.

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