Jasna Góra

Jasna Góra

Samstag, 25. Oktober 2014

Neulich

Neulich fuhr ich mit einer Kommilitonin auf ein Stipendiatenwochenende von meiner Studienstiftung. Nun ist das mit diesen Stipendiatenwochenenden immer so eine Sache. Die großen Studienstiftungen schreiben immer, wie wunderbar die Stipendiaten sich auf solchen Wochenenden "vernetzen" können. In der Theorie ist das sicherlich eine gute Sache, in der Praxis allerdings kaum möglich, zumindest für mich als Hörgeschädigte nicht.

Bei den Vorträgen und Diskussionen solcher Seminare komme ich meist noch einigermaßen mit. Ich verwende eine FM-Anlage, d. h. ein Mikrofon, das direkt in mein Hörgerät überträgt. Genau genommen sind es zwei Mikrofone, eines für den Referenten oder die Referentin, eines für die Zuhörer während der Diskussion. Während der Vorträge "vernetzt" man sich aber nicht. Das passiert beim Essen und in den Kaffeepausen. Und genau da beginnt für mich das Problem. Es sind neben den Stipendiaten auch noch andere Gruppen im Tagungshaus, der Speisesaal ist also voll und es herrscht eine Lautstärke wie in der Bahnhofshalle. Es sitzen viele, viele Leute in Gruppen zusammen und reden, Geschirr klappert etc.

Teilnahme an Gesprächen kann ich unter diesen Bedingungen vergessen. Ich höre nur einen Geräuschebrei, Stimmen herauszufiltern und so etwas zu verstehen, ist mir nicht möglich. Ich kann zwar versuchen, den Leuten, die mir gegenüber sitzen auf die Lippen zu starren, aber das, was ich dann sehe, ist zu wenig, um verstehen zu können. Außerdem möchte ich ja auch mal essen und dazu muss ich dann auf meinen Teller schauen. Auch gehen die Wortwechsel manchmal so schnell, dass man mit den Augen gar nicht hinterher kommt. Es ist für mich auch unmöglich, etwas zu verstehen, was jemand sagt, der auch nur zwei Plätze von mir entfernt sitzt. Guthörende hingegen können sich problemlos über fünf Köpfe hinweg unterhalten. Und dann haben Guthörende ja noch die Unart, dem Gesprächspartner ständig ins Wort zu fallen oder gleichzeitig mit ihm zu reden, weil jeder seine Gedanken unbedingt loswerden möchte. Ich kann aber dummerweise nur dann etwas verstehen, wenn nur einer redet.

So sitze ich also immer mitten unter den vielen Leuten und bin letztlich doch allein, weil ich nichts verstehe. Unterhalten kann ich mich unter solchen Bedingungen nur dann, wenn eine Person bereit ist, sich die ganze Zeit mit mir allein zu unterhalten. Das wollen die jungen Leute bei den Stipendiatengruppentreffen aber nicht unbedingt und ich kann es ihnen nicht verübeln. Es sind viele jungen Leute da und da möchte man einfach viele von ihnen kennenlernen. So eine Schwerhörige Studentin, die zu den Gesprächen nie etwas beisteuert (weil sie nichts versteht, aber ich glaube, das merken viele Leute gar nicht), ist da einfach langweilig.

Bei jenem Stipendiatenwochende schaute man am Samstagabend in großer Runde ein Fußballspiel. Vor Anpfiff stand ich etwas abseits, allein. Da kam ein älterer Herr und sagte irgendetwas, seiner Miene nach zu urteilen wohl etwas Lustiges. Ich sagte mein Standardsprüchlein auf ("Ich bin schwerhörig, ich habe Sie nicht verstanden...). Da wurde der Mann hellhörig. Er fragte, ob ich von Geburt an schwerhörig sei. Ich sagte, "Ja." Daraufhin sagte er, er habe großen Respekt vor dem, was ich geleistet habe. "Da muss man eine starke Persönlichkeit sein." Ich war erfreut, aber auch perplex. Erfreut, weil da jemand offensichtlich wusste, was Schwerhörigkeit bedeutet und was man alles leistet, um "normal" zu leben. Perplex, weil wir doch nur wenige Worte gewechselt hatten und er das in so kurzer Zeit abschätzen konnte.

Wir kamen ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass er eine schwerhörige Tochter hat. Dann also kein Wunder, dass er sich auskannte. Im weiteren Verlauf erwies sich der Herr als außerordentlich redselig und er redete sehr laut, so dass wohl alle umstehenden mithören konnten. Das wurde mir dann langsam doch ein bisschen peinlich. Dennoch willigte ich ein, als er sich am nächsten Morgen beim Frühstück zu mir an den Tisch setzen wollte. Er erzählte viel von seiner Tochter und fachsimpelte über Hörgeräte und Cochlea Implantate. Wie gesagt: Er redete sehr laut, aber ich war froh, dass überhaupt jemand bereit war, sich mit mir zu unterhalten. Wobei es wohl eher ein Monolog seinerseits war (Eine schwerhörige Freundin von mir sagt ja immer, dass wir Schwerhörige immer der Mülleimer sind. Weil wir ja immer so aufmerksam zuhören, und weil wir dem Redner auch nie ins Wort fallen und daher auch noch zuhören, wenn Guthörende sich längst abgewendet haben).

Da kam also meine Kommilitonin in den Speisesaal und fand es total komisch, dass ich mich mit einem älteren Herrn über Hörgeräte unterhalte. Das hat sie mir hinterher noch ständig auf die Nase gebunden. Ich war dann doch etwas genervt von dieser Unsensibilität. Sicher, es ist für eine gesunde 28jährige saukomisch, wenn eine 29jährige sich mit einem älteren Mann über Hörgeräte unterhält. Das kann ich mir gut vorstellen. Ich selbst finde das aber gar nicht so komisch. Es kommt schließlich nicht sehr oft vor, dass ich Leute treffe, die von Hörtechnik was verstehen und für mich gehören Hörgeräte zum Alltag, warum soll ich mich also nicht darüber unterhalten? Und sicher, der Mann war vielleicht ein bisschen seltsam (und wohl auch ein Außenseiter), aber immerhin war er bereit, sich die ganze Zeit lang nur mit mir zu unterhalten. Sein lautes Organ war vielleicht peinlich, aber es erleichterte mir das Verstehen enorm. Und er hatte immerhin großen Respekt vor meiner "Lebensleistung" bekundet (was meine sich lustig machende Kommilitonin übrigens noch nie getan hat).

Ich kann schließlich auch nichts dafür, dass ich schwerhörig bin und dass es meist die älteren Herrschaften sind, die sich besser darauf einstellen können.

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