Jasna Góra

Jasna Góra

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Vorstellung II

Mit 10 Jahren bekam ich endlich meine ersten Hörgeräte. Das kam so: Eines Abends lag ich lesend im Bett, als mein Vater nach Hause kam und seinen Schlüssel vergessen hatte. Meine Mutter war nicht da, da bei mir noch Licht brannte, klingelte er. Ich hörte die Klingel aber nicht. Er musst schließlich ins übernächste Dorf zu seinen Eltern fahren und dort der Zweitschlüssel holen. Als mein Vater dann mit mir zum Ohrenarzt ging, meinte dieser erst wieder, es sei alles OK. Da sagte mein Vater ihm, dass ich die Leute nur dann verstehen könne, wenn ich sie anschaue. Also drehte der Arzt sich um und sagte etwas. Ich verstand ihn nicht und damit hatte dann endlich auch mein HNO-Arzt begriffen, dass ich schwerhörig bin. Er überwies uns dann nach Marburg in die HNO-Klinik.

Als ich das erste Mal dorthin kam, schlugen natürlich alle Ärzt die Hände über dem Kopf zusammen, weil ich so spät erst (also eben mit 10 Jahren erst) dort auftauchte. Die wichtigste Phase der Sprachentwicklung liegt ja in den ersten sechs Lebensjahren und da sollte das Kind dann eigentlich auch gut hören können und im Falle einer Schwerhörigkeit mit Hörgeräten versorgt sein. Nun ja, irgendwie habe ich auch so sprechen gelernt, und irgendwie ist im Laufe der Grundschule auch noch das Lispeln verschwunden (wobei mir manchmal zugetragen wurde, ich würde "komisch" sprechen).

Ich war also 10 Jahre alt und gerade in der 5. Klasse des Gymnasiums, als ich meine ersten Hörgeräte bekam. Damals hatten die Dinger noch so eine hässliche Farbe. Alexander Görsdorf nennt es "fleischfarbenbeige". Die Akustiker bilden sich wohl ein, dass die Hörgeräte in dieser Farbe weniger auffallen, aber sie fallen natürlich trotzdem auf. Da kann man sie doch auch schön bunt machen, das sieht dann wenigstens schick aus. Meine jetzigen Hörgeräte sind weinrot.

Glücklicherweise war ich also schon in der 5. Klasse eines "normalen" Gymnasiums als die Schwerhörigkeit festgestellt wurde. Man konnte mich also nicht mehr so ohne weiteres hinauskomplimentieren. Hätte die Diagnose schon vorher festgestanden, hätten meine Eltern oder meine Lehrer vielleicht anders entschieden. So war ich nun einfach da, als einzige behinderte Schülerin unter 800 Teenagern.

Meine Hörgeräte habe ich gleich sehr geschätzt, konnte ich doch damit Laute hören, die ich bis dato nie gehört hatte. Allerdings hatte ich nun andere, neue Probleme. Während meine Hörgeräte am ersten Tag noch eine Attraktion waren (jeder wollte gucken), wurden sie mit der Zeit zum Minderheitenmerkmal. Meine Schwerhörigkeit trennte mich vom Rest der Klasse. Ich musste in der ersten Reihe sitzen, d. h. ich bekam nicht mit, was sich hinter mir in der Klasse so tat. Ich musste dem Lehrer wie gebannt auf die Lippen schauen, um dem Unterricht auch nur einigermaßen folgen zu können. Die kleinsten Störgeräusche hinderten mich daran, zu verstehen. Natürlich war ich damit zum Streber abgestempelt. Eine Schülerin, die ständig gebannt verfolgt, war der Lehrer sagt!

Was die Schüler zum Unterricht beitrugen, konnte ich ohnehin nur selten verstehen. Ich hätte den Leuten ja auf die Lippen starren müssen, ich hätte mich also ständig umdrehen müssen. Und wenn dann noch zwei andere Schüler so sitzen, dass sie den Blick auf den Sprecher verstellen... was will man da machen? Gruppenarbeiten ware mir ein absoluter Graus, da konnte ich nichts verstehen (weil ja meist mehrere Gruppen im selben Raum arbeiten und ich dann nur Stimmgewirr höre) und natürlich auch nichts beitragen. Als Mauerblümchen galt ich also auch.

Irgendwann begannen dann auch die Hänseleien. Es sieht sicherlich manchmal komisch aus, wenn ich die Leute ganz konzentriert anstarre. Also äfften meine Mitschüler das nach. Oder sie machten sich darüber lustig, wenn ich nichts verstand. Das Problem ist, dass ein Schwerhöriger, der ständig nachfragen muss, eben auch nicht schlagfertig sein kann. Ich muss ja schon wahnsinnig viel Denkarbeit leisten, um überhaupt akustisch mitzukommen. Und dann muss ich das ganze auch noch kapieren und mir dann noch Gedanken machen, was man Schlagfertiges erwidern könnte. Das alles dauert einfach viel zu lange, und dann ist der Moment, schlagfertig zu reagieren schon vorbei.

Ich versuchte also, die Hänseleien zu ignorieren und fand mich damit ab, das Leben eines Außenseiters zu führen.

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