Jasna Góra

Jasna Góra

Dienstag, 18. November 2014

Vorstellung III

Ich hatte bereits erwähnt, dass es in der Schule (ich war ja an einem "normalen" Gymnasium) nicht immer ganz einfach war. Nicht nur litt ich unter den Lästereien meiner Mitschüler, auch meine Lehrer wussten nicht immer, wie sie mit der Hörbehinderung umgehen sollten.

Im 8. Schuljahr bekam ich endlich meine Mikrolink-Anlage, also jene Anlage, wo der Lehrer sich ein Mikrofon umhängt oder ansteckt, welches dann direkt in meine Hörgeräte überträgt. Mein Ohrenarzt (der ironischerweise Dr. Rausch hieß) riet mir und meinen Eltern dazu. Meine Mutter ging also am Elternsprechtag zu meinem Klassenlehrer, um ihm das zu erklären. Leider besaßen wir zu diesem Zeitpunkt die Anlage noch nicht, so konnte meine Mutter also noch nicht zeigen, wie genau so eine Anlage aussieht.

Jedenfalls war die Reaktion zunächst negativ. Mein Klassenlehrer meinte, wenn mein Gehör so schlecht wäre, dann sollte ich doch besser auf eine andere Schule gehen. So kam meine Mutter also vom Elternsprechtag nach Hause und fragte mich, ob ich in der Schule Probleme machen würde. Das waren so die Momente, wo ich meiner Mutter am liebsten an die Gurgel gegangen wäre. Anstatt den unflexiblen Lehrer davon zu überzeugen, dass der Einsatz einer FM-Anlage doch gar kein Problem sei, suchte meine Mutter die Schuld bei mir. Mir war nicht bekannt, dass ich in der Schule irgendwelche Probleme gemacht hätte, meine Noten waren gut, und brav war ich auch.

Nach einigen Gesprächen mit Akustiker, Ohrenarzt, Mutter meiner Schulfreundin hat meine Mutter dann auch eingesehen, dass das Problem nicht bei mir lag, sondern bei dem Klassenlehrer. Er ließ sich dann doch überzeugen und als er die Anlalge dann auch einmal gesehen hatte, hat er wohl selbst gemerkt, dass es kein Umstand ist.

Meine Englischlehrerin meinte einmal, sie käme sich vor, wie der Moderator beim Frühstücksfernsehen.

Es war auch sehr schwierig, den Lehrern klar zu machen, dass ich bei Hörspielen und Fernsehen einfach total aufgeschmissen bin. Ich muss ja immer von den Lippen absehen, auch wenn ich meine Hörgeräte trage. Ohne Absehen kann ich nichts verstehen. Lippenabsehen bei Hörspielen geht irgendwie nicht, und bei Filmen geht es nur dann, wenn der Film auf deutsch gedreht ist und man die Personen, die sprechen, auch im Bild sehen kann. Kommt die Stimme aus dem off kann man nicht Lippenabsehen. Ist der Film synchronisiert, stimmen Ton und Lippenbild nicht überein.

Gerade im Fremdsprachenunterricht war das immer ein Problem, weil da ja gerne Hörspiele eingesetzt werden und manche Lehrer einfach nicht einsehen wollten, dass ich da einfach nichts verstehen kann. Sie verlangten von mir, dass ich nach dem Hörspiel auch auf Fragen antwortete (worum ging es in dem Stück etc.). Ja, wie soll man denn auf solche Fragen antworten, wenn man gar nichts verstanden hat?

Problematisch wurde es auch, als wir in der 9. Klasse das Thema Film hatten. Wir schauten im Unterricht eine Verfilmung von Dürrenmatts "Der Richter und sein Henker". Ich bat den Lehrer, mir den Film mitzugeben, damit ich ihn zu Hause anschauen könne. Zu Hause konnte ich den Film nämlich mittels Kopfhörer schauen und mehr verstehen. Das erklärte ich ihm auch. Dann sollte eine Klassenarbeit über einen anderen Film geschrieben werden. Obwohl ich ja versucht hatte zu erklären, dass ich bei Filmen nicht viel verstehe, kam mein Lehrer nicht auf die Idee, dass ich bei so einer Klassenarbeit ja benachteiligt bin. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass ich mich von dieser Arbeit hätte befreien lassen können, aber damals wusste ich das nicht, und irgendwie kam das damals für mich auch nicht infrage. Ich wollte einfach versuchen, mit den Mitteln die ich habe, das Beste draus zu machen. Das Ergebnis war nicht berauschend, ich bekam eine 4. Was soll man auch schon groß schreiben, wenn man drei Viertel des Films nicht verstanden hat?

Die 4 störte mich nicht, was mich störte, war der Satz den mein Lehrer darunter geschrieben hatte: "Filmanalyse ist wohl nicht dein Ding." Mit Verlaub, aber das ist ungefähr so, wie wenn man einen Gehbehinderten zwingt, am 1000-Meter-Lauf teilzunehmen, der Gehbehinderte dann als einer der letzten ins Ziel kommt und man dann zu ihm sagt: "1000-Meter-Lauf ist wohl nicht Ihr Ding." Was blöderes kann man gar nicht sagen. Es mag sein, dass mein Lehrer es letztlich nicht böse gemeint hat, aber es zeugt doch von einer sehr großen Unbeholfenheit im Umgang mit Hörgeschädigten.


Ein anderes Problem war die mündliche Beteiligung. Die Mikrolink-Anlage war mir eine große Hilfe, da sie mir das Zuhören erleichterte, weil ich nicht mehr ständig absehen musst und die Lehrer auch dann verstehen konnte, wenn sie mit dem Rücken zu mir standen. So war ich nach dem Unterricht nicht mehr ganz so geschafft. Allerdings: Die Mikrolink-Anlage hatte ja nur der Lehrer oder die Lehrerin. Was die Schüler sagten, konnte ich so gut wie nie verstehen, es sei denn, jemand, der neben mir saß, sagte etwas.

Zwar hatte ich immer einen speziellen Sitzplatz. Natürlich ganz vorne, aber eben nicht in der ersten Reihe. Die Tische bei uns waren immer in Hufeisenform (oder wenigstens ein halbes Hufeisen) gestellt und ich saß immer mit dem Rücken zum Fenster ganz vorne an der Seite. Mit dem Rücken zum Fenster ist sehr wichtig, hätte ich auf der anderen Seite gesessen, hätte mich das Licht ständig geblendet und ich hätte nicht absehen können. So kam das Licht immer von hinten und blendete mich nicht. Außerdem bot der Platz da voren an der Seite die Möglichkeit, fast alle Mitschüler zu sehen. Dennoch war es mir nicht möglich, zu verstehen, was sie sagten. Erstens dauerte es oft sehr lange, bis ich überhaupt merkte, wer etwas sagte (irgendwann wurden wir nämlich nicht mehr mit dem Namen aufgerufen, sondern die Lehrer sagten einfach nur "Ja?"). Zweitens waren die Münder meist von irgendwelchen Köpfen verdeckt, diejenigen, die auch in der Fensterreihe saßen, konnte ich ja sowieso nicht sehen. Und drittens, ich habe sehr gute Augen, aber irgendwann ist die Distanz zum Absehen einfach zu groß. Wenn ein Buch 5 Meter von mir entfernt liegt, kann ich ja auch nicht lesen, was drin steht.

Und wie bitteschön, soll man sich im Unterricht beteiligen, wenn man überhaupt nicht weiß, worüber gerade diskutiert wird? Hinzu kommt, dass ich als Hörgeschädigte überhaupt erstmal Kopfarbeit leisten muss um akustisch zu verstehen: Lippenabsehen, Kombinieren (also die Wörter, die man nicht verstehen/absehen konnte, vom Kontext her erraten). Damit bin ich schon sehr beschäftigt. Und dann im zweiten Schritt muss ich das Ganze ja auch noch kapieren. Dann muss ich mir noch überlegen, was man Gescheites dazu sagen könnte...... Ich hinke also imme ein Stück hinterher. Ja, und dann ist es einfach schwierig, sich ins Unterrichtsgeschehen einzumischen.

Meine Lehrer wollten dies jedoch nicht einsehen. Ich sei einfach zu schüchtern oder zu bockig, hieß es. Sicher, schüchtern bin ich. Und ja, ich sage meist nur dann etwas, wenn ich mir wirklich sicher bin, dass es auch stimmt. Ist das schlimm? Niemand blamiert sich gerne freiwillig und als Hörgschädigte blamiert man sich sowieso öfter als andere Leute. Irgendwann reicht es ja dann auch mal.

Nun ja, ich darf nicht alle Lehrer über einen Kamm scheren. Manche waren durchaus damit zufrieden, wenn ich ab und zu etwas sagte und gaben mir im Zeugnis die Note, die ich auch schriftlich hatte, oder machten allenfalls mal aus einer 2 eine 2-. Einer allerdings hatte mich wegen meiner "Schüchternheit" auf dem Kiecker und machte sich einen Spaß daraus, mich wegen meiner mangelden Beteiligung zwei Noten runterzustufen. So stand ich schriftlich auf 1 und bekam dann im Zeugnis eine 3. Vielleicht wollte er mich auf diese Art motivieren, im Unterricht mehr zu sagen, doch der Schuss ging nach hinten los. Auf Druck reagiere ich nämlich mit Trotz. Trotz ist eine urpolnische Eigenschaft, das erklärt auch, warum ich mich in diesem Land so wohl fühle :-)

Das Problem war sicherlich auch, dass ich eingentlich nicht in der Lage war, meinen Lehrern und Mitschülern zu erklären, welche Unterstützung ich brauche. Das wiederum hing damit zusammen, dass meine Eltern sich überhaupt nicht mit meiner Hörbehinderung auseinandergesetzt haben. Als ich noch jünger war, wäre es nämlich ihre Aufgabe gewesen, mit den Lehrern darüber zu sprechen. Auch wäre es gut gewesen, wenn ich einen sogenannten mobilen Dienst gehabt hätte. Die helfen nämlich hörgeschädigten Kindern bei solchen Problemen und reden im Notfall mit den Lehrern.

Auf der anderen Seite denke ich, ich habe mich ganz alleine durchgebissen. Ich habe keine Extrawürste gebraten bekommen. Ich habe unter sehr schwierigen Bedingungen mein Abitur gemacht, mit einem Schnitt von 1,8 (Ok, es ist nur ein NRW-Abi). Ich denke, da darf ich durchaus zufrieden mit mir sein.

Es gab durchaus auch Lehrer, die sich auf meine Situtation einstellen konnten, ohne dass ich ihnen irgendetwas erklären musste. Meine Biologie-Lehrerin beispielsweise brachte mir immer Zettel mit, wenn sie der Klasse einen Film zeigte. Auf den Zetteln stand das Wesentliche aus den Filmen drauf. Mein Geschichtslehrer brachte mir ebenfalls Zettel mit, wenn er Hörspiele vorspielte. Wie gesagt, das alles, ohne dass ich sie darum gebeten hatte und ohne dass ich ihnen meine Hörbehinderung näher erläutert hatte. Meine Chemie-Lehrerin war sehr verständnisvoll als ich einmal viel zu spät in ihrern Unterricht kam, weil mein Hörgerät am morgen den Geist aufgegeben hatte, und ich mir erst Ersatz besorgen musste. Ich bin den dreien heute noch dankbar.

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